Ungarn: Per Pedes in Pecs

Es geschieht kurz hinter dem Dom, in der Altstadt von Pecs: Jetzt weiß ich plötzlich, woher die Sitte mit den Liebesschlössern stammt. Nicht aus Rom, nicht aus einem Roman, sondern aus Pecs, im Süden Ungarns. In einer unscheinbaren Straße in der Altstadt sind die Eisengitter von Brücken und Fenstern zentnerschwer mit hunderten von Vorhängeschlössern verhängt. Von Liebespaaren angebracht, welche dann den Schlüssel zum Schloss für immer, so die romantische Hoffnung, in einem Fluss verschwinden lassen. Weil sie das Vorhängeschloss, als Zeichen ihrer Liebe, ja nicht mehr öffnen werden.

Lass uns Liebesschlösser kaufen gehen

Mittlerweile haben sich die Souvenirgeschäfte in Pecs an die Liebesschlösser-Manie angepasst und verkaufen Unmengen an Vorhängeschlössern, aber auch die Option, diese mit den passenden Namen zu gravieren.

Aber wegen den Liebeschlössern fahre ich natürlich nicht in die ungarische Provinz. Pecs, welches auf Deutsch Fünfkirchen heißt und einst Hauptstadt der Donauschwaben war, hat eine der wirklich großartigen – weil einzigartigen – Weltkulturerbestätten zu bieten. Die allein rechtfertigt schon die Anfahrt aus Budapest (mit dem Zug 3,5 Stunden, mit dem Bus etwas länger). Ihr könnt also von Budapest kommend Pecs im Rahmen eines Tagesausflugs besuchen, die einfache Fahrt kostet mit Bus/Bahn zwischen 15 und 20 Euro in der zweiten Klasse.

Zu Fuß durch die Altstadt von Pecs

Ich streune durch die erst jüngst aufwendig sanierte Altstadt, schließlich war Pecs 2010 Europas Kulturhauptstadt. Alle Gebäude und das Straßenpflaster glänzen in wiederhergestellter, farbenfroher Pracht. Ich lasse mich treiben, suche nichts und werde dennoch belohnt, denn in barocken Viertel der Altstadt von Pecs kann man sich verlieren, aber nicht verlaufen. Mediterran ist ein strapaziertes Wort, beschreibt aber für mich am besten die lichten Gassen der Altstadt, die schönen Häuser und Bauten, Plätze und Kirchen von Pecs. Es ist die Mischung aus Stilen und Schnörkeln, Toren und Türmen, Barock, türkisch, klassizistisch, die mich einnimmt. Besonders pittoresk finde ich das städtische Theater, ein Traum aus Jugendstil und Marmor. Cafés und Restaurants gibt es in Pecs an jeder Ecke, und ich bin froh, dass ich ohne Auto hier bin. Denn der Autoverkehr ist größtenteils aus der Altstadt verbannt, weshalb man sehr gut alles zu Fuß erkunden kann.

Unter der Erde im UNESCO-Welterbe

Pecs bedeutendste Sehenswürdigkeit und Grund meiner Reise sind die von der UNESCO im Jahr 2000 zum Weltkulturerbe ernannten frühchristlichen Gräber aus dem 4. Jahrhundert, in der Nähe vom Dom St. Peter. Der Dom mit dem angrenzenden Bischofspalast ist gut ausgeschildert und offen für Besucher. Für umgerechnet ca. 3 Euro kann man das barocke, goldbeladene Innere der Kirche sowie die spätantike Krypta bewundern.

Auf der Südseite des Doms findet sich der Eingang zum Sella Ceptichora Besucherzentrum, wie ich finde, eines der spektakulären Museen Europas. Die unter der Erdoberfläche befindlichen christlichen Grabkatakomben aus spätrömischer Zeit hat man auf architektonisch einzigartige Weise miteinander verbunden. Galerien und Räume aus Glas und Metall gewähren Einblicke in die Grabkammern und deren fast 1.600 Jahre alten Wandmalereien. Das Museum verbindet die alten Tunnel, die Katakomben und antiken Mauern aus römischer Zeit mit metallenen Galerien und Brücken und Überführungen, und das alles unterirdisch. Allein der Besuch dieses Museums lohnt die Fahrt nach Pecs, und Romantiker kaufen noch ein Liebesschloss!

Spannender Mix der Kulturen

Aber es ist nicht nur Pecs Welterbe, das etwas Besonderes ist. Es ist die alte Stadt selbst, welche im Lauf der Jahrhunderte mehrfach ihre Besitzer wechselte, ohne deren Spuren auszulöschen. Viele Gebäude sowie die Moschee aus der türkischen Zeit sind in der Altstadt zu finden, einige deutschsprachige Relikte der Donauschwaben und Österreicher der k. u. k. Epoche ohnehin, aber auch die Synagoge aus dem 19. Jahrhundert tragen zum Mix der Kulturen in Pecs bei. Kroatien und Serbien sind ebenfalls nicht weit entfernt, Pecs ist ein sympathischer Tiegel vergangener und gegenwärtiger Kulturen, jung und spritzig. Was aber vielleicht auch am Wein liegt?

Das Mikroklima der Gegend sorgt dafür, dass seit Jahrhunderten Weinbau in Pecs betrieben wird, und das milde Klima Südungarns sowie die südländisch anmutende Altstadt sind der Grund, dass ich mich mehrfach dabei ertappe, den Weg zum Strand zu suchen!

Einen Strand finde ich natürlich nicht in Pecs, aber das Nachtleben entschädigt. Wieder bleibe ich einfach in der Altstadt und gehe zu Fuß, die Auswahl und Lebendigkeit der Weinkeller, Kneipen, Restaurants, Imbisse und Bistros an jeder Ecke und auf jedem Platz ist überbordend. Und wie in einem echten Schmelztiegel der Kulturen ist Sprache kein Problem. Also bestelle ich im Restaurant manchmal auf Englisch, mal auf Deutsch, aber Spanisch und Italienisch erklingen auch an jeder Ecke. Und irgendwie weiß ich, dass der alte 68er Spruch in Pecs erfunden worden sein muss und sich dort bewahrheitet: Unter dem Pflaster der Altstadt, da ist der Strand.

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Dirk Löw

Dirk Loew schreibt in seinem Reiseblog von Orten, die er selbst bereist hat. Alle seine Tipps hat er im Selbstversuch überstanden. In seinem Blog planetenreiter.de schreibt er über die Themen naturnahe Reisen in die Ferne, nach Südamerika und Afrika, Deutschland und Europa. UNESCO Welterbestätten, individuelle Touren und Fernreisen weitab des Massentourismus, Reisefotografie, Selbstfahrertouren in Afrika, das Reisen im Internet, perfekte Kurz- und Wochenendreisen sowie über Safari und Naturschutz.