Zauberhafte Steindörfer im unbekannten Teil des Piemonte

Von der Bank in Orta San Giulio aus sehe ich die kleine Insel San Giulio im Ortasee. Wie gemalt liegt sie da und selbst von hier kann ich mir die schmalen Gassen vorstellen, die zwischen den typisch italienisch-hingewürfelten Häusern hindurchführen. Aber heute nehme ich nicht das Boot zur Insel, denn es geht raus aus dem Ort mit den herrlichen Gassen, alten Häusern, den Pizzerien mit Steinöfen, in denen sich am Wochenende die einheimischen Familien treffen (Tipp: Pizzeria La Campana).

Ich möchte meinem Freund die kleinen traditionellen Steindörfer des Piemonte zeigen, die ich letztes Jahr auf einer Erkundungstour kennengelernt habe. Jetzt soll auch er die für mich schönste Ecke Europas kennenlernen, die der Massentourismus noch nicht für sich entdeckt hat und der sich nur wenige Kilometer weiter im Süden am Gardasee tummelt.

Wandern auf alten Handelswegen

Vielleicht sind die Touristen noch nicht hier, weil man besser gut zu Fuß ist: Die Wanderwege sind zwar in den letzten Jahren immer besser ausgebaut worden und sogar Übernachtungsmöglichkeiten für Mehrtagestouren werden jetzt nach und nach geschaffen, aber in viele der kleinen Dörfer kommt man tatsächlich nur zu Fuß oder wie damals mit Eseln auf den alten Handelswegen. Die Menschen, die hier leben, müssen ihre Einkäufe häufig die letzten paar hundert Meter zu ihren Häusern tragen.

Ein wunderbarer Wanderweg führt von Villadossola auf den heiligen Calvario-Berg in Domodossola, genannt die „Straße der Pressen und Mühlen“ (Via die Torchi e die Mulini). Entlang des Weges kann man alte Weinpressen begutachten und findet Informationsschilder.

Verwunschenes Viganella mit moderner Küche

Von Villadossola fahren wir mit dem Auto nach Westen Richtung Sassoin in die Berge und sind nun da, wo in manchen Karten keine Dorfnamen mehr eingetragen sind. Das erste Dorf, in dem wir Halt machen, ist Viganella, das in dieser Gegend ein bisschen berühmt ist, weil es in der Winterzeit ein paar Wochen gibt, in denen kein Sonnenlicht die Häuser erreicht. Der Bürgermeister hat deshalb einen Spiegel am Berg anbringen lassen, der das Sonnenlicht auf den Dorfplatz reflektiert.
Viganella ist nur noch halb bewohnt und so verwinkelt, dass wir zwischendurch nicht wissen, ob wir noch auf dem Bürgersteig sind oder schon bei jemandem im Wohnzimmer stehen.

Im wunderschönen Casa Vanni, einem alten, großen und restaurierten Steinhaus, das heute modernes Hotel und Restaurant ist, habe ich letztes Jahr übernachtet und mein erstes 8-Gänge-Menü gegessen, von dem ich heute noch schwärme: überraschend moderne Küche, leichte Gänge, kreative Variationen mit lokalen Produkten und aufbereitet wie im 5-Sterne-Restaurant, und das im mittleren Preissegment. Hier sollte man allerdings unbedingt reservieren, denn die Besitzer sind nicht auf spontane Gäste eingerichtet. Eine Weinprobe des lokalen Hausweines ist hier sehr empfehlenswert.

Geheimtipp: der Talausblick im Künstlerdorf Cheggio

Von Viganella geht es ein kleines Stück die Straße weiter nach Westen, dann parken wir auf einem winzigen Parkplatz am Rand der Straße. Unser Ziel ist Cheggio, ein Künstlerdorf, ein kleines Schild weist den Weg. Man muss sich hier schon auskennen, um dieses Schild ernst zu nehmen, denn es geht lediglich ein kleiner Trampelpfad hinauf. Achtung, es handelt sich hier nicht um den Ort Cheggio im Antronatal! Das Antronatal liegt weiter gen Westen und ist ebenfalls sehr zu empfehlen, jedoch eher für eine ganze Tagestour, denn man sollte keinesfalls verpassen, den Cavalli-See einmal zu umrunden und einmal in das Naturschutzgebiet hineinzuwandern.

Auf einer großen Steinterrasse mäht ein Mann Gras und nickt uns freundlich zu. Einige Künstler haben hier gewerkelt, überall stehen Skulpturen, die Haustüren sind bemalt, vor allem Glas und Holz wird hier viel benutzt. Auch ein paar Deutsche haben sich hier niedergelassen, sie bewohnen das schönste Haus mit Blick auf das riesige, grüne Tal zur einen und die hohen, schneebedeckten Berge zur anderen Seite. Kein Wunder, dass Reinhold Messner diese Gegend einmal mit dem Himalaya verglich.

Essen oder trinken kann man hier nicht, es sei denn, ein Bewohner bietet einem spontan einen Hauswein an, was in dieser Gegend nicht unüblich ist. Der fantastische Talblick von der großen Terrasse ist den Besuch aber allemal wert, wir können bis zu den schneebedeckten Gipfeln auf der anderen Talseite schauen – hier möchte ich am liebsten bleiben.

Abstecher ins Antronatal

Wer ein bisschen wandern möchte, ist hier genau richtig. Die Gegend eignet sich wunderbar für eine kurze, etwa einstündige Wanderung, das ist der Weg einmal um den Antrona-See herum. Das Highlight: einmal hinter einem riesigen Wasserfall hindurchgehen! Keine Sorge, hier wird niemand nass.

Wiedersehen in Tappia

Als wir Cheggio verlassen und nach Tappia fahren, einem sehr pittoresken Dorf, was von den eigenen Bewohnern restauriert worden ist, um hoffentlich von einer der vielen kleinen Hauswinzereien dieser Gegend einen Wein kosten zu können (einfach den Schildern „Cantina“ oder „Degustazione“ folgen), traue ich meinen Augen nicht: Mir kommt ein bekanntes Gesicht entgegen. Sandra hat mich letztes Jahr durch diese Gegend geführt, den Kontakt habe ich aber verloren. Was für ein Zufall!

Natürlich werden wir sofort eingeladen und dürfen uns ihr Haus anschauen, sie hat sich vor Jahren in eines dieser mehrere Jahrhunderte alten Häuser mit den Steindächern verliebt und es gekauft. In der herrlichen Küche mit weißgetünchten Wänden und Fußboden aus Stein, Fensterbögen und dem uralten Kachelofen bekommen wir Tee und italienisches Gebäck und freuen uns über das Wiedersehen.

Als sie mich zum Abschied drückt, sagt sie: „Siehst du, ich habe dir das schon vor einem Jahr gesagt: Du wirst wiederkommen.“ Wie Recht sie hat.

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Inka Chall

Hey, ich bin Inka. Möchtegernentdeckerin, Liebhaberin der polaren Gebiete unserer Erde und verknallt in Berlin und Brandenburg. Ich schreibe und fotografiere gerne und berichte hier auf blickgewinkelt wenig über Gott aber viel über die Welt.