Pilsen: Begegnungen in der „versteckten“ Stadt

Pilsen. Bier, Skoda und vielleicht noch die einst berühmten tschechischen Puppenspieler. Tschechiens viertgrößte Stadt mit ihren rund 180.000 Einwohnern hat mehr zu bieten. Pilsen steckt voller Überraschungen. Sogar Engel wirken hier.

Mit Handel und Industrie ist Pilsen reich geworden: Maschinenbau, Metallindustrie und eine der größten Brauereien der Welt. 1842 brachte ein bayerischer Braumeister seine Handwerkskunst nach Böhmen. Die Stadt lieferte den Namen für die untergärige Biersorte: Pilsener, kurz Pils.

Frühschoppen

Über fast 20 Kilometer erstrecken sich die ständig acht Grad kühlen Keller und Gewölbe unter der Stadt. Die geführte Besichtigungstour (knapp anderthalb Stunden für rund 5 Euro) durch die Pilsener Urquell-Brauerei mit Sinnes-Erlebnis-Park macht hungrig. Das Restaurant serviert böhmisch Deftiges: Knödelberge mit dicker Soße. Für die Portion Wildragout (umgerechnet 6 Euro) hat wahrscheinlich ein ganzer Hirsch sein Leben gelassen. Dazu lasse ich mir ein bronzefarbenes, hefehaltiges Bier schmecken. Der halbe Liter kostet, für Deutsche kaum vorstellbar, gut einen Euro. Weil es unpasteurisiert nach drei Tagen verdirbt, bekommt ihr es nur hier und in einer Kneipe am Rande der Altstadt.

Aus Grau wird Bunt

Ein Spaziergang tut mir nach der Völlerei gut. Eine Viertelstunde ist es durch den Park zurück ins Zentrum. Um den zentralen „Platz der Republik“ versammeln sich frisch restaurierte Bürgerhäuser aus mehreren Jahrhunderten, das Rathaus aus der Renaissancezeit und das tschechische Puppenspielermuseum.

Meine Neugier siegt über die Faulheit. Ich gönne mir die Aussicht vom Turm der Bartholomäus-Kathedrale. Mit Drehwurm entsteige ich der Wendeltreppe und schaue vom höchsten Kirchturm Tschechiens über die roten Altstadt-Dächer weit ins grüne, hügelige Böhmerland bis nach Bayern.

Zwei Straßenbahnstationen außerhalb des Zentrums liegt der Südbahnhof. Die leuchtend gelbe Bahn gleitet vorbei an der zweitgrößten Synagoge Europas, deren Türme mit den beiden goldenen Davidsternen das Stadtzentrum überragen, passiert das allerweltsgleiche Einkaufszentrum und lange Reihen grauer Häuserzeilen.

Künstlerbahnhof

1998 zogen die ersten Maler, Bildhauer, Tänzer und Fotografen in das halb verfallene Nebengebäude des 110 Jahre alten, stuckverzierten Südbahnhofs. Auf der Bühne in der ehemaligen Bahnhofshalle spielen Theatergruppen und Tanz-Ensembles. „Wir verbinden Kunst mit Bildung”, erzählt Mitbegründer Roman Cernik. Ihn finde ich in der kleinen Kneipe des Kulturzentrums: Über der selbstgebauten Theke hängt das ausgediente schwarz-weiße Bahnhofsschild. In der als verschlafen-konservativ verschrienen Provinzstadt habe sich das „Johan“ seinen Platz erkämpft. „Mit der Europäischen Kulturhauptstadt planen wir Projekte.“

Im Zentrum werben Plakate und Fahnen für das Programm. Unter dem Motto „Open Up“ will der Sohn des Regisseurs Milos Forman mit seinem Team die Pilsener und ihre Besucher mit „leicht zugänglichen Angeboten“ begeistern: Zirkus ohne Tusch und Tiere, ein Auftritt bunter Riesenfiguren der Compagnie Royal de Luxe aus Nantes, ein barocker Musiksommer in alten Kirchen auf dem Lande oder ein interaktives Riesenkarussell auf dem Hauptplatz.

Kulturhauptstadt zum Mitmachen

Die Einheimischen gestalten mit. Auf meine Frage nach Details erhalte ich eine Einladung in die Hölle. So heißt das Café, das Studenten im ehemaligen Kulturhaus im 50er-Jahre-Stil eingerichtet haben. Dort wartet Jakub Deml auf mich. Er leitet das Programm „versteckte Stadt“. Mit seinem Team arbeitet er an Charakteren, die Besuchern in Handy-Apps Pilsen nahebringen: der Brauer, der das Pils erfand, ein Arbeiter der Skoda-Werke, ein Künstler oder ein zwölfjähriges Mädchen, das die Stadt aus Kindersicht zeigt. Die Figuren führen Touristen in verschiedene Stadtteile, deren Bewohner sie in Empfang nehmen und ihnen ihren Alltag zeigen.

„Wenn du in die vielen Hinterhöfe und Keller schaust, wirst du tollen Menschen begegnen“, Franziska überschlägt sich fast vor Begeisterung. Seit vier Jahren lebt die 29-jährige Deutsche in Pilsen, hat fließend Tschechisch gelernt und kennt die halbe Stadt. Wir kommen keine 100 Meter weit ohne fröhliches Hallo.

Gerne zeigt sie mir ihr Pilsen: Die zahlreichen Musikkneipen oder das Abasta Theater hinter dem Plaza Einkaufszentrum. Dort spielen sie auch Stücke auf Tscheutsch, einer Mischung aus Tschechisch und Deutsch, die die Leute aus beiden Ländern verstehen.

Engel, die Wünsche erfüllen

Auch Stadtführungen gibt es auf „Tscheutsch“. Die Teilnehmer bekommen Aufgaben gestellt, lernen so die Stadt kennen und Wörter in der jeweils anderen Sprache.

Anděl zum Beispiel heißt Engel. Die gedeihen in Pilsen prächtig: Als Café-Restaurant (Bezručova 7, Menü ab ca. 6 Euro), das vegetarische Bio-Kost serviert, als vergoldete wasserspeiende Figur auf dem Platz der Republik oder versteckt hinter der Sankt Bartholomäus-Kathedrale: Dort blicken 25 kinderfaustkleine Engelshäupter auf die Passanten. Immer wieder bleibt jemand stehen, berührt ein abgegriffenes Köpfchen und geht nach ein paar Sekunden weiter. Wünsche, an die man dabei denkt, gehen der Legende zufolge in Erfüllung, zum Beispiel der nach einem entspannten Tagesausklang in der Tapas Bar El Cid am unteren Ende der Ulica Zbrojnická: einer gemütlichen spanischen Kneipe mit gutem Wein und mediterraner Küche. Das Menü kostet 15 Euro.

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Robert Fishman

Robert Fishman ist passionierter Reiseblogger aus Bielefeld. "So schee scho" heißt auf hochdeutsch - mitunter ironisch - etwa "so schön aber auch". So heißt auch sein Reiseblog und hier sammelt er Eindrücke und Inspirationen, vor allem für Umwelt- und sozialverträgliches Reisen sowie über Städtereisen in Europa und "drum herum".